Gastbeitrag: Warum Klimaschutz nicht mit erhobenem Zeigefinger funktioniert
Südamerika ist zu einem beliebten Reiseziel der Bundesregierung geworden. Kanzler Scholz, Wirtschaftsminister Habeck, Außenministerin Baerbock – alle waren sie in diesem Jahr schon dort. Und das mit gutem Grund. Bietet sich doch nach über 20 Jahren Verhandlungen die Chance, endlich das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten abzuschließen. Neben Brasilien sind Argentinien, Uruguay und Paraguay Mitglieder der regionalen Wirtschaftsgemeinschaft.
Das Engagement Deutschlands in Südamerika kommt zum richtigen Zeitpunkt. Russlands Angriff auf die Ukraine verlangt ein Umdenken – nicht nur in der Sicherheits- und Energiepolitik, sondern auch in der Handelspolitik. In einer Zeit, in der Europas wirtschaftliche Abhängigkeit von China verstärkt auf den Prüfstand gestellt wird und in der zugleich ein Großteil des weltweiten Wirtschaftswachstums außerhalb der EU stattfindet, muss Europa seine weltweiten Handelsbeziehungen ausbauen und diversifizieren. Nur so können Wohlstand, Arbeitsplätze und Frieden gesichert werden.
Die Mercosur-Staaten wissen, was sie zu bieten haben
Wie wichtig es ist, dass Europa jetzt aktiv wird, zeigt auch die Reiseaktivität des brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva im April dieses Jahres. Während er zunächst in Peking für eine Intensivierung der Handelsbeziehung mit China warb, betonte er auf seiner Europareise zwei Wochen später, wie wichtig ihm ein rascher Abschluss der Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen dem südamerikanischen Mercosur-Raum und der EU sind.
Die Botschaft ist klar: Die Mercosur-Staaten wissen, was sie zu bieten haben und wollen Verhandlungen auf Augenhöhe. Die EU und insbesondere Deutschland müssen diese Signale ernst nehmen und die Verhandlungen rasch zu einem guten Abschluss bringen.
Der Mercosur-Wirtschaftsraum ist mit über 260 Millionen Menschen ein bedeutender Markt. Mit dem Abkommen würde der weltweit größte Freihandelsraum mit über 770 Millionen Einwohnern entstehen. Das Handelsvolumen zwischen der EU und Mercosur betrug 2022 120 Milliarden Euro.
800 deutsche Firmen allein im Großraum São Paulo
Allein nach Brasilien exportierten deutsche Unternehmen Waren im Wert von knapp 13 Milliarden Euro. Im Großraum São Paulo sind 800 deutsche Firmen ansässig und bilden dort die größte Konzentration deutscher Industrie-Unternehmen weltweit. Der Abbau von Zöllen und Handelsbeschränkungen würde diese engen Wirtschaftsbeziehungen weiter stärken.
Ende Mai wurde ein Gutachten zum Regenwaldschutz veröffentlicht, dass der Staatsrechtler Till Patrik Holterhus im Auftrag der grünen Bundestagsfraktion erstellt hat. Darin stellt der Autor fest, dass das Abkommen derzeit lediglich wenige Bestimmungen zum Waldschutz enthalte, die effektiv nicht durchsetzbar seien. Um dies zu erreichen, brauche es ein völkerrechtliches Waldschutzinstrument, das in den bereits bestehenden Streitbeilegungsmechanismus eingegliedert werde. Somit könnten Verletzungen der Vereinbarung mit der Aussetzung von Handelszugeständnissen sanktioniert werden.
Völlig unrealistischer Vorschlag
Die Umsetzung dieses Vorschlags ist jedoch völlig unrealistisch und verengt effektiven Waldschutz auf das Instrument von Strafzöllen. Dabei wird auch vernachlässigt, dass durch die EU-Entwaldungsverordnung bereits ein unilaterales Instrument existiert, das ohne Absprache mit den betroffenen Ländern in den Handel eingreift.
Ländern, die unsere Werte teilen und mit denen wir zusammenarbeiten mit Strafzöllen zu drohen, kann aber nicht der Weg einer gemeinsamen europäischen Außen- und Wirtschaftspolitik sein. Klimaschutz erreicht man nicht gegeneinander oder mit erhobenem Zeigefinger, sondern nur gemeinsam. Die EU kann Anreize für den Schutz des Regenwaldes setzen, erzwingen kann sie ihn nicht.
So ist auch der Auftritt des argentinischen Botschafters in Deutschland, Fernando Brun bei der Anhörung des Deutschen Bundestages zum Abkommen der EU mit den Mercosur-Staaten im April zu verstehen. Bei dieser Gelegenheit betonte der Botschafter, dass die Ratifizierung des Abkommens ein notwendiges politisches Signal mit geostrategischer Bedeutung sei.
Allerdings dürfe das Abkommen nicht zu einer einseitigen Durchsetzung von Klimamaßnahmen führen. Die EUVerordnung über entwaldungsfreie Lieferketten sei wichtig für den Umweltschutz, jedoch sei Umweltschutz mehr als die Frage der Abholzung. Es gehe um die Erfüllung des Pariser Abkommens und der Ziele für nachhaltige Entwicklung. Die EU und die Mercosur-Staaten haben sich im Freihandelsabkommen auf die Umsetzung des Pariser Klimaschutzübereinkommens verpflichtet.
Jetzt ist es an der Zeit, zu handeln. Verpassen wir als EU das aktuell günstige Zeitfenster, besteht die Gefahr, dass das Abkommen scheitert. Das kann nicht im Interesse Deutschlands sein. So unterstrich auch der Völkerrechtler Till Patrik Holterhus bei der Anhörung im Deutschen Bundestag, dass ein Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten besser sei als kein Freihandelsabkommen.
Die Ampel-Regierung hat die Potentiale des Freihandels erkannt. Auf Initiative der FDP hat sie sich vor knapp einem Jahr auf eine neue handelspolitische Agenda verständigt. Diese beinhaltete auch die Ratifizierung von CETA, dem Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada, durch den Deutschen Bundestag im Herbst letzten Jahres. Über fünf Jahre hatte die CDU-geführte Große Koalition nicht die politische Kraft, das Freihandelsabkommen zu ratifizieren. Diesen neuen Kurs in der Handelspolitik gilt es jetzt fortzusetzen – weg von der Rolle des Bedenkenträgers hin und zu einem Fürsprecher des freien Welthandels.